JOERG WAEHNER
Staatsgalerie Prenzlauer Berg
„STEMPEL“ & „KISSEN“
JOERG WAEHNER
18.10.2014
Staatsgalerie Prenzlauer Berg
Liebe Kunstfreunde,
Da ich im wahrsten Sinne des Wortes mit den hier gezeigten Bildern meine Haut zu Markte trage, habe ich mich entschieden auch die Eröffnungsrede über den Künstler Joerg Waehner selbst zu halten.
Die Bild- und Text-Vorlagen stammen aus meiner Stasi-Akte, erstellt im September 1981, ohne künstlerischen Anspruch. In mehrfachen Arbeitsschritten habe ich die Fotos mit Marker-Stiften koloriert. Die „Fehlfarben“ verweisen auf den obskuren Umstand ihrer Entstehung. Aus der so entstandenen Bildserie und der dazugehörigen Stasi-Prosa habe ich eine Fotonovela kreiert und diese Geschichte in Echt-Foto-Abzügen mir wieder angeeignet.
Die Aufnahmen wurden aus einem Knopfloch aufgenommen, (daher zeigen sich bei manchen Bildern an den Rändern runde Schattenrisse). Sie dokumentieren ein Wochenende mit meiner damaligen Freundin, von Freitag 14.00 Uhr bis Sonntag 0.30 Uhr wurden wir observiert.
Auf dem Tisch liegt eine Zusammenfassung der gesamten Geschichte als S/W-Kopie aus, auf Deutsch und auf Englisch ... So beschränke ich mich auf Ergänzungen zum Stasi-Text.
Ich arbeitete, damals 19-jährig, in einer kleinen privaten Druckerei, weil ich meinen Arbeitsvertrag als Schriftsetzer bei der „Freien Presse“, einer der üblichen Parteizeitungen, nicht unterschreiben wollte. Ich wollte an den gedruckten Lügen nicht mitschuldig sein, in welcher Form auch immer. Vor allem an den Lügen über Polen, wo 1980 die Solidarnosc-Bewegung entstanden war.
Auf einem der Überwachungsfotos steht dann ja auch der schöne Satz: Trug einen Folienbeutel mit der Aufschrift „Fleischenten aus Polen“. Natürlich war das eine Botschaft, die jeder im Osten verstand. Wegen der katastrophalen Versorgungslage war es im sozialistischen Nachbarland zu Streiks gekommen und zur Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft. Die DDR schottete sich seit Oktober ’80 gegen den polnischen Virus ab. Der aber mich angesteckt hatte. So trug ich ergänzend an meinem Stoffbeutel einen selbstgebastelten Anstecker mit der polnischen Fahne und den Victory-Zeichen und ein Abzeichen des Kölner Doms mit dem Text: Zeichen des Glaubens und der Einheit. - Beide Buttons sind mir später auf ungeklärte Weise abhanden gekommen.
Einen Sommer lang waren Karin und ich ein Paar. Die Genossen von Horch & Guck fanden heraus, dass es sich „anscheinend um ein Liebesverhältnis“ handelt. An dem besagten WE waren wir nie allein, sondern von 5 bis 6 jungen Männern um die dreißig beschattet.
Natürlich waren sie mir aufgefallen, auch wenn ich versuchte so zu tun, als hätte ich sie nicht bemerkt, daher mein gesenkter Blick. Bereits an der Zentralhaltestelle - wie auf dem einen Foto zu sehen - hantierten die Stasi-Observanten so ungeschickt mit ihrer Kamera im Knopfloch, dass sie einen als Ablenkung mit ins Bild stellten und sich von einem nebenstehenden Passanten - der ältere Herr rechts von mir - beschimpfen lassen mussten, was sie denn da trieben ...
Auch Karin waren unsere Verfolger nicht verborgen geblieben. - Was die denn um Gottes Willen von mir wollten, ob ich was verbrochen hätte... Ich verneinte aufrichtig. Aber so richtig glaubte Karin mir nicht. Einige Tage darauf änderte sich plötzlich ihr Verhalten, sie hatte ihren Eltern von meinen Verfolgern berichtet. Ihrem Vater musste ich „als Freund unserer Tochter“ Rede und Antwort stehen. Zu meiner Tätigkeit in der Druckerei und zu meinen Zukunftsperspektiven. Anscheinend hatten sie einen Hinweis bekommen. Für Karins Eltern war ich jetzt ein Asozialer und ein Staatsfeind. Sie drangen darauf, dass Karin sich von mir trennte und boten ihr als Ausgleich einen Hund an, den sie sich schon lange gewünscht hatte. Karin nahm den Hund, einen Dackel.
Ich bin noch immer nicht käuflich, dafür meine Arbeiten umso mehr. Die Werkliste mit näheren Details können Sie gern beim Galeristen erfragen ...