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JOERG WAEHNER

1992

Die Arbeit an unserem zweiten, „richtigen“ Buch wurde für Klaus Hähner-Springmühl zu einer rettenden Aufgabe, einem Anker. Das Titelmotiv, ein Riss, beschrieb die Zeitenwende, aber auch Springmühls Trennung von der Gegenwart, in der riesige Werbetafeln seine Bilder als kommerzlose Schwarz-Weiß-Blättchen denunzierten. Aber ebenso verdeutlichte der Riss den Verrat in der Künstler-Szene vom Prenzlauer Berg ...


Als Künstler der Galerie Wohnmaschine reiste ich seit zwei Jahren durch die Kunstwelt. Die Art Frankfurt eröffneten Dennis Hopper und Leo Castelli ... Ich hatte mit dem Osten abgeschlossen, fuhr als Europäer durch andere Länder, reiste nach Nordafrika. Aber die DDR-Vergangenheit holte mich wieder ein ... Auch in Chemnitz, meiner ehemaligen Karl-Marx-Städter Heimat, wurde Georg Brühl, väterlicher Freund und Mentor, als „Experten-IM“ des MfS enttarnt.

Ende des Jahres schrieb ich den Essay: „Deckname oder Pseudonym“.

Nach dem Interview mit Heiner Müller im Dezember 1991 begegneten wir uns persönlich erst wieder im Mai 1992, zur Leipziger Buchmesse. Müller brachte einen Band früher Gedichte heraus und ich mein Kafka-Buch „Amerika ist ein U-Boot im Goldfischteich oder ein Genie ist kein Mietwagen“, mit unserem Interview. Buchpremiere war im Berliner Zimmer im Messehaus in der Innenstadt. Ich las zusammen mit „Schappi“, Peter Wawerzinek. Unsere „Vorgruppe“, Gregor Gysi und Heiner Müller verabschiedete sich unterdessen. Nach dem Leseauftritt übergab ich Müller einige Buch-Exemplare mit unserem Interview.


Die Atmosphäre am Buchstand von Galrev war gespenstisch. Sascha Anderson saß auf einem Stuhl: „Ich halte jetzt mein Gesicht in die Öffentlichkeit, um mir die Ohrfeigen abzuholen.“ Geschlagen wurde er nicht, nur angeguckt und getuschelt: „Ist das nicht ...?“ Anderson, wie ich gelernter Schriftsetzer, hatte sich seit seiner Enttarnung rührend und mit Eifer um das Layout meines Buches gekümmert, im Verlag jeden Morgen Kaffee gekocht. Kennengelernt hatten wir uns Mitte der 80er Jahre in der Wohnung der Keramikerin Wilfriede Maaß. Anderson war ausgesprochen hilfsbereit, zeichnete eine Skizze und erklärte mir die Szene vom Prenzlauer Berg. Er las meine Fragmente und vermittelte mich an Egmont, um meine Texte im „schaden“ unterzubringen.

Nach dem Beginn der „Stasi-Debatte“ - Anlass war die Büchnerpreisrede Wolf Biermanns am 18.10.1991, der darin erstmals von „Sascha Arschloch, ein Stasispitzel“ sprach, überschlug sich das Feuilleton mit Vorwürfen gegen Autoren der Prenzlauer Berg-Literaturszene.

Vor allem gegen Alexander („Sascha“) Anderson alias IM „David Menzer“, „Fritz Müller“, „Peters“, richteten sich die Attacken.


Anfang 1992 veröffentlichte das ARD-Politmagazin „Kontraste“ Rechercheergebnisse, die belegten, dass auch Rainer Schedlinski seit spätestens 1979 als IM „Gerhard“ für die Staatssicherheit tätig gewesen war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er behauptet, allen Anwerbungsversuchen widerstanden und lediglich „Verhörprotokolle“ unterschrieben zu haben.


Mir ging es nicht nur um ihren Verrat, sondern vor allem um ihre Haltung dazu. Für mich war die Staatssicherheit nie ein Gesprächspartner gewesen, sie hatte mich zum Feind erklärt. Etwas anderes zu behaupten, war für mich Selbstbetrug.


Noch im gleichen Jahr bin ich bei „Galrev“ als Gesellschafter ausgestiegen. Wegen der Inkonsequenz und fehlenden Abgrenzung gegenüber den Stasi-enttarnten Verlagsmitgliedern. Ihr verschleppter Verrat kompromitterte die gesamte Autoren-Szene und zerstörte unsere gemeinsame Utopie von einem funktionierenden Lyrikverlag im „neuen“ Deutschland.

„,Viele sehen die Lage sehr kritisch‘, meint Joerg Waehner, 30, ein weiterer Aussteiger, der nur unter großen Schwierigkeiten bei Galrev ein Buch herausbringen konnte, in dem er die Stasi-Problematik literarisch verarbeitete. ,Aber sie sagen nichts oder wenig, weil sie doch von ihren Jobs im Verlag abhängig sind.‘ Einige wollten offenbar auch ihre seit Jahren bestehende Freundschaft mit Anderson nicht aufgeben -‘ eine Art Solidarität des geringeren Übels.“

SPIEGEL, 31/1992

Marokko 1992

Galerie Weißer Elefant:

12.06. Lesung & 26.06. Performance mit Kurt Buchwald

Texte: VERRAT / POLAROID-INFUSIONEN - die Erlebnisse der letzten Monate schlugen sich im Vortrag nieder.

„LABYRINTH“ Galerie Wohnmaschine - 17.10. bis 21.11.1992

Fotografiert von Ilona Schäfer

„... so werden sie am programm 92 sicher bemerken, dass es eben darum nicht geht, die mass stäbe zwar von der weltliteratur kommen, meistens jedoch an jener generation fest gemacht werden, die zur gleichen zeit lebt. dichter wie thomas brasch, gert neumann, wolfgang hilbig, karl mickel, eberhard häfner, kiev stingl oder die wesentliche deutsche dichterin anemone lazina, die in rumänien lebt, treffen im jahresprogramm der edition galrev neunzehnhundertzweiundneunzig auf autoren wie durs grünbein, ulrich zieger und joerg waehner. der text aber wird noch immer und in jeder bekannten einsamkeit von den autoren selbst geschrieben und verantwortet.“

POLAROID-INFUSIONEN


Polaroid-Infusionen, in den Eingeweiden Licht

Dunkelmänner, Überväter, vom Verrat gebleicht

Worte ungelenk blendend unters Volk gemischt

Philosophie, Tod und Teufel frönen Cyberspace

Der Gestank der Jahrzehnte in Über-Sicht.


Der letzte der Revolte die Schublade verlässt

Gierige Hände an den Unterleib gepresst

Zu viele Akteure, zu viel Geschmeiß

Jagd die Ratten von Bord,

Der Gestank – unerträglich heiß

Autoren wie Thomas Brasch und Durs Grünbein zogen ihre bei Galrev geplanten Bücher zurück. Sie wollten - verständlicherweise - nicht in einem „Stasi-belasteten Verlag“ veröffentlichen - wie das Feuilleton alle Mitstreiter über einen Kamm scherte -, oder machten zur Bedingung, dass es eine deutliche Abgrenzung zu den beiden enttarnten Spitzeln gäbe. Mit eher hilflosen Aktionen, wie einem Treffen bei Brasch zu Hause, versuchten wir ihn von unserer Lauterkeit und Position zu überzeugen. Vergebens.

Außerdem spitzte sich durch die Enttarnungen die wirtschaftliche Situation im Verlag zu. Gläubiger zogen finanzielle Zusagen zurück oder Geschäftspartner forderten sofortige Zahlung ausstehender Rechnungen ein. Damit mein Buch erscheinen konnte, musste ich einen privaten Kredit aufnehmen.

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